Helga Gutbrod, 2015

 

Zwischen Stein und Stahl:

Die Beziehungs-Räume des Michael Danner

 

Die Kunst Michael Danners ist eine Herausforderung. Nicht, weil sie so effektvoll wäre, sondern weil sie sich soweit wie möglich zurück nimmt. Seine Arbeiten entziehen sich einer oberflächlich-schnellen Betrachtung. Danner, ein Meister im Reduzieren seiner bildnerischen Mittel, verknappt den Einsatz von Materialien ebenso auf das Notwendigste wie seine künstlerische Intervention. Ohne erkennbar individuelle Handschrift wirken viele seiner dreidimensionalen Objekte daher so unspektakulär und selbstverständlich, als könnten sie auch ohne sein Zutun nur so und gar nicht anders sein. Rasch laufen sie Gefahr, unterschätzt zu werden. Trotzdem fordern Danners Arbeiten nicht lautstark Aufmerksamkeit. Es bedarf der eingehenden Beschäftigung, des Wechsels der Standpunkte vor dem Original – Abbildungen können die Wirkung nur bedingt vermitteln –, um die Präsenz dieser zurückgenommenen, gleichwohl bestimmt gesetzten Werke zu erfassen.

Gängigen Erwartungen an Bildhauerei verweigern sich Danners Objekte. Sie locken nicht mit Masse und Volumen und ebenso wenig mit dem Pathos sinnlicher Materialien. Nur schwer findet der Blick einen Halt, - weder an den Stahlplatten, die zu knapp bemessen sind, um eine Wucht zu entfalten, die das Werk dominieren könnte noch am verwendeten Granit, der nur als Kubus zum Einsatz kommt. In seiner Schwere und Unveränderlichkeit steht der Stein in Kontrast zu den dünnen, biegsamen Federstahlstreben; doch seiner archaischen Sinnlichkeit ist er durch die Abstraktion in eine stereometrische Idealform enthoben.

Zu den solchermaßen im Zaum gehaltenen Materialien fügen sich Seile, Fäden und immer wieder Federstahl als feine Linie oder schmales Band, das die Stahlplatten oder Granitblöcke miteinander verbindet. Augenscheinlich industriell gefertigt und gleichmäßig ausgeprägt, mangelt diesem Material das Eigenwillige und Charaktervolle. Es ist ein technoides Material, ohne besonderen haptischen Reiz. Neben dem ersten Eindruck des feinnervig Filigranen kann daher auch der des Spröden treten. Wie Fühler oder Fäden erstrecken sich die Streben des Federstahls im Raum, überlang mitunter und darin jegliche ästhetische Sehgewohnheiten missachtend.

Eines ist sicher: Nicht üppige Schönheit ist es, nach der Michael Danner strebt. Nicht in den Materialien selbst, sondern in der Art und Weise, wie der Künstler sie einsetzt und zusammenfügt, gründet die Faszination seiner Plastiken. Neben den ruhenden Granitblöcken, Stahlplatten oder seltener Holzpflöcken tritt als Gegenpol der unscheinbare Federstahl, dessen bestimmende, singuläre Eigenschaft jedoch seine Elastizität ist. Federstahl lässt sich in Spannung bringen, doch er verbiegt sich nicht dabei. Wird er unter Spannung gesetzt, gibt er nach und verläuft ohne zu knicken in einer stetig linearen, harmonischen Biegung. Wieder im Ruhezustand, fällt er in die anfängliche Gerade zurück. So wenig Eigencharakter er haben mag, ist es eben dieser Federstahl, der die Objekte in Bewegung bringt und in Beziehung zum Raum setzt. Er ist es, der sich kühn im Raum emporschwingt, sich weit aufspannt, zum Kreis schließt oder in einer tänzerischen Gebärde um die eigene Achse dreht. Durch ihn wirken Danners Arbeiten eher wie der flüchtige Nachhall einer Bewegung als wie kompakte Plastik. Der Eindruck von Bewegung ist dabei keine optische Täuschung. Tatsächlich können die biegsamen Gebilde in Schwingung versetzt werden, sich hin und her wiegen und dehnen, mal sacht tänzelnd, mal behäbig mäandernd, mal gefährlich rasch den Schwerpunkt verlagernd.

Danner erreicht dieses spannungsvolle Zusammenspiel durch wenige, konzentrierte Eingriffe. Hier ist es eine waagrechte sowie eine senkrechte Strebe, deren Enden durch Federstahl verbunden werden, der unter Spannung gesetzt ist und so durch die versammelte Energie zu wippen beginnt. Dort sind zwei aufeinanderliegende Stahl-Ellipsen um wenige Millimeter verschoben, so dass die Plastik ihr stabiles Gleichgewicht verliert, den aus ihr herauswachsenden hohen Stab erzittern und so die ganze Skulptur um Balance ringen lässt. Wie minimal der Eingriff auch sein mag, er bewirkt sofort eine Änderung im Gesamtgefüge.

Es braucht Präzision - das richtige Verhältnis der Teilformen zueinander und das Wissen um den einen möglichen Punkt, an dem Federstahl und Basis aufeinandertreffen müssen - um die Objekte unter diese Spannung zu setzen. Spielen die sparsamen Eingriffe jedoch exakt zusammen und wird der Widerstand im Federstahl überwunden, entsteht mit einem Mal etwas ganz Neues: Ein energetisch aufgeladenes Objekt, das eher einem Kraftfeld gleicht als toter Materie.

So grafisch und geradezu entmaterialisiert der feine Federstahl auch wirken mag, - die Räume, die er zu erschaffen weiß, sind überraschend eindeutig. Seine Silhouette umfährt leeren Raum und lässt auf diese Weise einen Zwischenraum entstehen, der fraglose Präsenz entfaltet. Dieses Dazwischen ist es, was Danner zur Anschauung bringen möchte. Auf Fotografien kaum abbildbar, besitzt dieser Raum geistige Qualität. Es ist ein Beziehungsraum, in dem das Verhältnis der Kräfte zueinander seinen Ausdruck findet.

Dabei muss ein einmal geschaffener Raum nicht fest definiert bleiben. Bewegt sich die Plastik, verändert sich ihre Gestalt und damit ihr Zwischenraum. Dann setzen sich die Elemente der Plastik neu in Beziehung zueinander, definieren aufs Neue ihr Verhältnis zueinander. Auf die Spitze getrieben hat Danner diese Unbeständigkeit im Objekt „laufender Kreis, bewegt“, dessen gespanntes Stahlband, einmal in Schwingung versetzt, unaufhörlich zwischen Kreis und Gerade wechselt. Doch auch weniger dynamische Gebilde besitzen ihren Spiel- und Bewegungsraum, innerhalb dem sich die Spannung der Einzelteile und ihr Verhältnis zueinander verändern.

Solchem Spannungsgefüge, in dem kein Stillstand herrscht, gilt Danners eigentliches Interesse. Beständig fügen sich seine Arbeiten zu neuen Konstellationen und Verhältnissen, deren Kräfte sich unaufhörlich austarieren. Sie haben etwas von Gleichgewichtserkundungen, wohlwissend, dass Anordnungen in Balance das Potenzial haben, sich selber zu erhalten beziehungsweise zu stabilisieren, aber eben auch zu kippen.

Wie die einzelnen Kräfte zusammenspielen, ob sich ein Tanz entwickelt oder ein Tauziehen, welche Auswirkungen minimale Verschiebungen in den Verhältnissen gleichwelcher Art haben, - das ist es, was Michael Danner fesselt. Seiner Überzeugung nach definiert sich der Mensch durch seine Beziehungen, durch die Nähe und Distanz, die er zu anderen einnimmt, durch das Spannungsgefüge, in dem er lebt und handelt. Diese Bezugnahme und Verhältnismäßigkeit ist für ihn ebenso in Natur und Kosmos wirksam und nicht minder auf globale Verhältnisse übertragbar. Auch jeder Einzelne, so Danners Auffassung, ist vor die Aufgabe gestellt, seine Balance zu finden und die physischen und geistigen Räume, in denen er sich bewegt, auszutarieren. Das stetig wirksame Prinzip der Balance durchdringt damit alle Beziehungsgefüge. Dieses ewig währende, ewig in Veränderung begriffene Spiel der Kräfte ist das eigentliche Thema von Danners Plastiken.

Gleichberechtigt stehen neben diesen die Tusche-Bilder des Künstlers. Sie sind weit mehr als zweidimensionale Wiederholungen seiner dreidimensionalen Objekte. Eine Ästhetik der Schlichtheit, die aus Reduktion resultiert, waltet auch hier. Doch fehlt ihr die Sprödigkeit heutiger Materialen; Leinwand, Kalligrafie-Pinsel und Tusche berufen sich auf eine lange Tradition und verraten die Auseinandersetzung des Meisters in Taekwondo (3. Dan) mit östlicher Philosophie.

Weniger ist kaum denkbar: Der weiße Bildgrund trägt eine, höchstens zwei lasierte Flächen. Sie werden durch eine oder zwei biegsam gespannte Linien in Beziehung gesetzt. Diese Bilder besitzen eine schwer fassbare Intensität; zugleich sind sie von einer Einfachheit, aus der etwas sehr Grundsätzliches spricht. Beides mag dem Entstehungsprozess geschuldet sein. Denn während Danner bei seinen dreidimensionalen Objekten das Material unter Spannung setzt, ist es er selbst, der beim Malen hochkonzentriert sein muss. Die Bilder entstehen in wenigen Minuten des angespannten Arbeitens. Zunächst werden die lasierten Flächen aufgetragen. Sie sind noch feucht, wenn Danner sofort darauf– als Maß dient die Reichweite seines Armes – eine durchgehend gespannte Linie zieht. Ruhe wie Energie sind gleichermaßen in diesen Bildern wirksam.

Sei es im Zwei – oder im Dreidimensionalen: Michael Danner erweist sich als Raumplastiker und Equilibrist, der in seinen Arbeiten zudem immer wieder auf die Zeit als weitere Bezugsgröße verweist. Die komplexen Dimensionen von Volumen, Raum, Bewegung, Verbindung und Spannung erhalten bei ihm eine physische Präsenz von einfacher Klarheit, die zugleich seelisch-geistige Bezüge zu veranschaulichen vermag. Das Einfache und das Grundsätzliche fallen in Danners Kunst in eins.

 

 

 

 

Helga Gutbrod, 2015

 

Between Stone and Steel:

Michael Danner’s relationship of space.

 

Michael Danner’s art is a challenge. Not because it is so conspicuous, but because it is self-effacing. His works elude quick and superficial reflection. Danner, a master at reducing the sculptural medium, constrains the use of materials to the minimum, like his artistic intervention. Without distinguishable individual traces, many of his three-dimensional objects appear to be so unspectacular and natural that they could simply exist without any effort on his part - and could only be as they are. They run the risk of being immediately underestimated. Nevertheless, Danner's work urges our attention, albeit in a non-insistent way. In order to recognise the entire presence of the work, thorough engagement is required. Unlike pictures, which can only give a limited impression, shifting ones view towards the work conveys the full experience of the image.

Danner’s objects reject the current expectations of sculpting. They do not lure with mass and volume, nor with the emotionalism of sensual materials. The view struggles to find a hold – either in the steel plates that are too meagre to augment a force to dominate the work, or the granite that is used only as a cube. The weight and immutability of the stone, which is in contrast with the thin flexible spring steel rods, is displaced by its abstraction into an ideal stereometric shape.

These restrained materials acquiesce to the fine lines or narrow bands of ropes, threads and further spring steel, which connect the steel plates and granite blocks together. Clearly manufactured industrially with uniform features, this material lacks idiosyncrasy and character. It is a technological material, without special haptic appeal. In addition to the first impression of fine filigree can appear one of brittleness. The strands of the spring steel, occasionally overlong, extend in the room like feelers and threads and in that way disregard the usual aesthetic perception.

One thing is certain: Michael Danner does not pursue opulent beauty. The fascination of his sculptures is founded not in the materials themselves, but rather in the way the artist uses and puts them together. In addition to the dormant granite blocks, steel plates or sometimes wooden dowels are used in contrast to the inconspicuous spring steel, whose determined, singular property is its elasticity. Spring steel can be put under tension, but it cannot be bent. Once under tension, it yields and creates a harmonious and continuous linear curve without buckling. At rest, it returns to its initial straight line. Despite its small and unprepossessing character, it is precisely this spring steel that brings the objects in motion and in context with the space. It boldly swings aloft into the room, springing forth, closing a circle or rotating in a dancing gesture around its own axis. Through this, Danner's works seem more like the reverberation of an illusive movement than a compact sculpture. The impression of movement is no optical illusion. In fact, the flexible structure can be vibrated, sway back and forth and stretch, sometimes gently prancing, sometimes sluggishly meandering, sometimes dangerously and quickly relocating its centre.

Danner achieves this exciting interplay by a few, but focused interventions. There is a horizontal and a vertical strut, the ends of which are connected by spring steel, which is placed under tension and so begins to bob through the gathered energy. The two superimposed steel ellipses are shifted by a few millimeters, so that the sculpture loses its stable equilibrium, the high rod quivering, so that the whole sculpture wrestles to recover its balance. However small the intrusion may be, it causes an immediate and instant change of the overall structure.

It takes precision - the right balance of the parts to each other and the knowledge about the particular point where the spring steel and base meet - to set the objects under this tension. This precise and subtle interplay produces something new: an energetically charged object that resembles more a powerful force field than a lifeless material.

Even if the fine spring steel may seem graphic and almost free of material substance, the spaces that it creates are surprisingly explicit. Its silhouette circumscribes an empty space and in this way a ‘between space’ arises -an unquestionable presence unfolding. This ‘in between’ is what Danner wants to bring into view. Hardly representable on photographs, this space has spiritual quality. It is a relational space, in which the proportion of energies to each other delivers another expression.

Once created, this space does not remain fixed. Once in motion, the sculpture changes its shape and thus the ‘in between’. Then the elements of the sculpture find a new inter-relationship, defining a new rapport with each other. Taken to the extreme, Danner has this inconsistency in the piece „laufender Kreis, bewegt“ ("continuous circle in motion"), whose steel band, once put in to motion, changes unceasingly between circle and line. But even less dynamic pieces have their recreation and leisure space within which they change the energy of the individual parts and their relationship to each other.

Danner’s real interest lies in the energy arrangements that have no standstill. His works constantly rearrange themselves to new constellations and relationships, whose energies rebalance endlessly. They are exploring equilibrium, knowing that arrangements in balance have the potential to fall in and out of stability with each other.

Whether a dance develops or a tug of war, Michael Danner captures how the individual forces interact and the effects of minimal shifts of any kind in the proportions. He is convinced that man is defined by his relationships, through the proximity and distance to others and by the energy arrangement in which he lives and acts. This reference and proportionality is applicable for him as well as in nature and cosmos, and no less transferable in global relationships. Danner considers that everyone is faced with the task of finding his or her own equilibrium and to balance the physical and mental spaces in which they move.

The ever-active principle of balance permeates all relationships. The real subject of Danner's sculptures is the interplay of energy - the static and the perpetually changing.

On an equal footing with his objects are the artist’s ink paintings. They are far more than two-dimensional repetitions of his three-dimensional pieces. An aesthetic of simplicity that results from reduction, also holds sway here. However, they lack the brittleness of today's materials; canvas, brush and ink calligraphy rely on a long tradition and reveal the discussion of the master in Taekwondo (3rd Dan) with Eastern philosophy.

Less is hardly conceivable: the white background carries one or a maximum of two glazed surfaces. They are set in relationship through one or two lithe tense lines. These images possess an elusive intensity; at the same time they speak of a fundamentally basic simplicity -both may be due to the development process. While Danner in his three-dimensional objects places the material under tension, it is he himself who has to be highly concentrated in painting. The images are created in a few minutes of tense work. At first, the glazed surfaces are coated. While still damp, Danner immediately draws a taut continuous line, using the reach of his arm as a measure. Similarly, calm and energy are equally potent in his pictures.

Whether in two or in three dimensions, Michael Danner proves himself to be a sculptor and ‘equilibrist’, who raises time as an additional reference point.

In his work, the complex dimensions of volume, space, movement, connection and tension gain a physical presence of simple clarity that is able to illustrate simultaneously mental-spiritual references. In Danner’s art, the simple and the fundamental merge into singularity.

 

Helga Gutbrod