Dieter Brunner, 2009
Reduzierte Formen, erweiterte Räume
„Die Skulpturen sind von einer zerbrechlich wirkenden Stabilität, scheinen oft in einem waghalsigen Gleichgewicht zu balancieren: Obwohl das Räderwerk der Konstruktion in den Verstrebungen und Stützpfeilern […] offen gelegt wird, […] scheinen die Arbeiten auf den ersten Blick die Gesetze der Schwerkraft zu ignorieren und dadurch die Freiheit der Malerei in den Raum zu übertragen. Darüber hinaus suggeriert die Labilität der plastischen Bilder Haltlosigkeit, eine latente Gefährdung der Form, die Erfahrung einer gerade noch ausgehaltenen Spannung“ schrieb die seinerzeit am Ulmer Museum tätige Kunsthistorikerin Dorothée Bauerle 1986 über die bemalten Holzkonstruktionen von Michael Danner.1 Bis dato kannte man ihn nur als sehr „heftigen“ Maler; die „wilde Malerei“ hatte Michael Danner aber längst vor den Jungen Wilden für sich entdeckt. Seine Skulptur knüpfte direkt an seine Malerei an, manchmal durchdrangen sich die unterschiedlichen Medien – Malerei und Skulptur – in einem sehr produktiven Sinne. Es ging Danner also nicht nur um die Übersetzung seines Bildrepertoires in die dritte Dimension, sondern um Grundsätzliches: um die Spannung zwischen Illusionsraum und wirklichem Raum.
Vergleicht man die Objekte von vor 23 Jahren, dann ist gerade „die Erfahrung einer gerade noch ausgehaltenen Spannung“ das Entscheidende, was Danners künstlerische Vergangenheit mit der künstlerischen Gegenwart verbindet. Heute spielen die Wechselwirkung von Kräften – wie Zug, Druck und Gewicht und gegenseitiges Halten von kompakten Körpern (Steinen) und beweglichen linearräumlichen Elementen (Federstahlstangen) – auf eine ganz neue Art die zentrale Rolle in Danners künstlerischer Arbeit. Sie kennzeichnen die Kontinuität seiner künstlerischen Entwicklung.
Auch heute sind die Gegensätze von massiven und offenen Bereichen, von Konstruktion und Emotion, von Ordnung und Chaos, von offener und geschlossener Form noch durchaus verwertbare Ansätze für die Betrachtung des plastischen Werks von Michael Danner. Auch solche Begriffe wie Innen und Außen, gefüllter und leerer Raum werden von ihm immer noch hinterfragt. Heute allerdings überwiegt die strenge Form: Das Chaotische ist in den Hintergrund getreten, ist teilweise instrumentalisiert wie bei den Tuschbildern, und auch das emotionale Element wird gleichsam gestisch gefasst, „gebunden“.
In Danners Oeuvre klingen seit den 1990er Jahren vor allem puristische, prinzipielle Strömungen der Kunst an. Sein Werk bezieht insbesondere zwei weitere Themenkomplexe in seine Arbeit ein: die Rolle des Körpers als Medium und die Frage nach dem Raum, mit dem der Körper in ein Wechselspiel tritt. So konzentrieren sich Danners ortsbezogene Projekte darauf, seine Bewegung im Raum in Energie und diese wiederum in Malerei zu verwandeln. Danners Skulpturen, mittlerweile auch oft auf ihre Standorte zugeschnitten und in großem Format, ruhen in sich, sie vereinen Schwere und Leichtigkeit zugleich. Danner variiert die Themen Schwerkraft und Gleichgewicht als physikalische Problematik von Körper und Raum. Die Formen stammen aus dem spröden Feld elementarer, nahezu geometrischer Zeichen: Seine Skulpturen sind kalkuliert, allerdings nicht mit der Unterstützung von Mathematikern, sondern mit der Erfahrung und durch Nachdenken und Probieren – wie z. B. bei der Arbeit „Loslösen“ (Abb. S.14/15) mit zwei Steinen und einem Federstahl: Danner hat den zweiten Stein solange verkleinert, bis dieser von dem Federstahl nach oben gedrückt wurde und in Spannung gehalten wird. Die Aktion des "Steinverkleinerns" wurde mit der Kamera festgehalten, das Video gehört nun zur Installation.
Bei Danner geht es also um Schwerkraft, Spannung und Balance. Er geht der Frage nach, wie die Körper sich als Körper zu dem sie umgebenden und durch sie selbst gebildeten Raum verhalten. Die Arbeiten Michael Danners setzen gleichsam die verschiedenen Darstellungsformen und deren Spannungsfelder mit dem umgebenden Raum und dem darin sich befindenden Betrachter in Bezug. Ganz besonders deutlich wird das bei Objekten wie bei „Bögen, gebeugt“ (Abb.S. 19). Drei Steine sind über Drähte verspannt und scheinen zu schweben: Sie halten sich gegenseitig durch die lineare Verspannung im Raum. In einer anderen Raumkonstellation, der Arbeit „Wechselwirkung V“ (Abb. S.17), wird das Augenmerk auf den spannungsgeladenen, gleichsam elektrisierten Zwischenraum gelenkt. Danner stellt in seinen Ausstellungen oft eine plastische Form und ein Bild gegenüber, womit er gleichzeitig den Spannungsbereich von physischem und geistigem Raum nachzeichnet.
Michael Danner beschäftigt sich seit geraumer Zeit mit ostasiatischer Philosophie und praktiziert den asiatischen Kampfsport Tae Kwon Do, als „Kampfkunst“ ein Weg des Zen. Danner betont bei seiner Arbeit immer wieder die Schaffung und Bereitstellung von Energiefeldern, aus denen heraus geistige Potenziale Form annehmen können. Die westlichen Formen der Installation und der Performance erfahren bei Danner so gleichsam ihre spirituelle Durchdringung: eine Spiritualität mit fernöstlichen Überlagerungen.
All seine philosophischen und die über seinen fernöstlichen Kampfsport gewonnenen Einsichten haben den Künstler Danner zu einer konzentrierten und auf das Wesentliche reduzierten Darstellung hingeführt. Michael Danner gehört zu jenen Künstlern, die die Emanzipation der Kunst von Ideologien anstreben – dazu gehört beispielsweise auch die Absichtslosigkeit – und auf diesem Weg über die abstrakte immer mehr zur konkreten Kunst gelangen. Danner wurde im Lauf der letzten Jahre immer mehr fasziniert von der extremen Reduktion der künstlerischen Mittel. Diese Faszination führte ihn hin zur Monochromie, die letzten Endes nichts anderes ist als eine sichtbare Darstellung der völligen Abwesenheit von Farben. Nach einer langen Periode mit monochromen Bildern arbeitet Danner nun nur noch mit Tusche auf weißer Leinwand: Die Farblosigkeit steht gleichzeitig für die Vollendung der ästhetischen Präsenz aller Farben. Und ähnlich lässt sich die geforderte Abwesenheit des emotionalen Ausdrucks verstehen: Der meist energetische Duktus des Pinselstrichs lässt keine sentimentale Deutung zu, im Akt des Malens objektiviert sich die Subjektivität des Künstlers und befreit sich von Empfindungen wie Freude, bleibt aber emotional gleichsam immer latent präsent.
Danners Werkbegriff ist ein System, das an die großen asiatischen religiösen und philosophischen Schulen anschließt und das immer wieder die Ganzheitlichkeit von Geist und Körper betont. Nicht die Selbstdarstellung ist sein Ziel, sondern das Zurücktreten – in einem fast schon mittelalterlichen Sinne – hinter das Werk. Die radikale Reduktion der Mittel verhindert letztlich die Subjektivierung von Kunst und drängt die im Abendland bedeutsame „Künstlerindividualität“ und den zum Fetisch degenerierten „Geniekult“ zurück: Aber wie bei der Farbe bedeutet das nichts anderes, als dass künstlerische Präsenz nur dadurch erreicht wird, indem das Selbst des Künstlers im Hintergrund bleibt – vorhanden, aber nicht auf den schnellen Blick sichtbar.
Michael Danners Suche gilt der zeitgemäßen Erneuerung der Kunst und ihrer Wiederbelebung über die Inhalte und über die philosophischen Ansätze. Danners heutige Arbeiten sind – ähnlich den frühen Vorläufern – existentielle Chiffren. Heute kann und muss man in seinen Arbeiten allerdings vor allem spirituelle Intentionen und Werte erkennen. Auch wenn die Werke fernöstliche Bezüge haben, kopiert Danner dennoch nie, sondern integriert und interpretiert immer nur, was ihm geistig verwandt ist. Durch seine Vorgehensweise schafft der Künstler gleichsam ein übergreifendes Gefüge, in dem sowohl physisch-geistige als auch räumlich-zeitliche Aspekte zum Tragen kommen können.
1 Dorothée Bauerle, Zu den totemistischen Grenzgängern zwischen Skulptur und Malerei von Michael Danner, in: Michael Danner, Skulptur, Ausstellungskatalog Galerie 5 – Haus