Clemens Ottnad, 2011

 

Zwischen Kommen und Gehen – Skulpturen und Tuschebilder

 

Galerie im Science Park, Ulm 17.02. – 29.04.2011

 

Von Filmen, flimmernden Fernsehschirmen, Video-Clips und Computermonitoren sind wir bereits gewohnt ständig bewegte Bilder wahrzunehmen. Skulpturen, Malerei und Zeichnungen zeitgenössischer bildender Kunst dagegen werden in der Regel der Kategorie arretierter festgestellter Bilder bzw. Einbildungen zugeschrieben. Sie gelten mithin als nur momenthaftes Abbild von Landschaft, Figur und Gegenstand, Körper, Raum und Bewegung, sozusagen als eingefrorene Standbilder eines in der wirklichen Erfahrungswelt eigentlich doch Belebten.

Die bildkünstlerischen Arbeiten von Michael Danner nun – die Skulpturen ebenso wie seine Tuschebilder – scheinen sich gegen all dieses Kategorische (des Angehalten-Seins) zu sträuben: Die zwar aus Stein, Stahl, Holz oder textilen Stoffen ersonnenen Objekte und darin utopische Vorstellungsarchitekturapparate geben jedoch mitnichten den Stillstand der Dinge wieder; sie stehen vielmehr unter Spannung, sie vibrieren nachgerade, haben geheime Energien eingespeichert; sie sammeln Kräfte und sie können – eben noch in still-unbewegter Balance verhalten – in Schwingung versetzt werden, aus der sie bisweilen (zwischen Stützen und Stürzen) ihr Gleichgewicht durchaus auch zu verlieren drohen. In jedem Fall aber sind die skulpturalen Arbeiten waghalsig phantasiert, anschließend in langwierigen Prozessen zu erfinderischen Konstruktionen vorangetrieben, und als selbstsinnige Augenabenteuer vermögen sie stets zu behaupten: ich bin genau so und ich bin doch gleichzeitig auch ganz anders, in Bewegung eben, materialisiert und entmaterialisiert zugleich, in Wechselwirkungen.

Die Linienkathedralen Michael Danners erheben sich so aus granitenen Felsblöcken, führen mit ihren Federstahl-Streben in den sie umgebenden Luftraum hinauf, halten dort in ihrem gegenwarts-gotischen Bogenschwung weitere Steinfragmente hoch, bevor sie sich heavenbound-erdgebunden wieder abwärtssenken, den Prinzipien eines steten gegenseitigen Halten und Gehaltenwerden (ge)horchend. Als Raumzeichnung sind sie bloss ahnbar fragmentarische Hinweise auf einen größer zu denkenden Raumkörper/Körperraum, ein Gedankengerüst, die kopfbetriebige Ideenbaustelle eines in einem fort neu zu umbauenden Raumes (nämlich dem der Vorstellungskraft), nur erst angedeutete Formen im Bildgedächtnis anzulagern, um innere Gestalt (ist gleich Form) zu gewinnen.

Auf schmalem Grat also, hier auf den schmalen Kanten von Holzprismen – nicht auf ihren eigentlich haltgebenden Grundflächen – stehen diese Bildapparate mitunter; sie sind instabil, sie befinden sich in der Schwebe, in transmobile Schwebezustände versetzt von den Stahlelementen, die sie (vergleichbar der Physiologie des menschlichen Körpers, aber auch die der Psyche) in einem Gleichgewicht (fest)halten, das organisch bedingt das Miteinander aller verfügbaren Kräfte, aller Körper-Teile voraussetzt. Ob an anderer Stelle Schwarz oder Weiss schwerer wiegen (das Wägen etwa des gefalteten Stoffes über Stahlstäben), steht hier gar nicht in Frage – denn nimmt man nur an einer Stelle ein wenig weg von einem dieser beiden (vom Schwarzen oder vom Weissen) weg, ist nicht allein die Balance der Arbeit gestört, der unter ungeheurer Spannung stehende Federstahl schnellte empor und die Installation zerstörte sich selbst vollständig.

Die Unbedingtheit, die Exaktheit, das genau bemessene Ausgewogensein der vom Künstler verwandten Werkstoffe, ihres Bewegungsapparates und der Bildanlage insgesamt prägen ebenso die an diesem Ort gezeigte Malerei von Michael Danner. Sie ist gekennzeichnet von äußerster Konzentration auf nichtfarbig Schwarz und Weiss (samt deren Zwischentöne in Grau), die Konzentration auf Linie, Volumen und Fläche, sowie auf die Wechsel von Bewegt und Nicht-Bewegt, Dynamik und Ruhe. Mit Pinseln in einem einzigen Bewegungsablauf gezogene Tuschbahnen sind dabei naturgemäß auf die Spannweite einer Armlänge begrenzt, als menschliches Maß bildnerischen Tuns sozusagen. Sie durchqueren (als Malhandlung nämlich) die Bildareale von einer „Grauzone“ zur anderen, von einem Graukörper zum gegenüberliegenden und bleiben außerhalb dieser Zonen ausschließlich entschieden nur schwarz (als Linie) oder nur weiss (als Hintergrund). So sind die Linienbahnen segmentbogenförmig zwischen den blockhaften Flächen (die auch Körpervolumina meinen können) verspannt, so dass der Eindruck entsteht, jene Linearen flössen behände – wie Wechselströme – blitzartig hin und her. In den nass in nass gesetzten Graufeldern lavierter Tusche nimmt der Schwung des farbgetränkten Pinsels verschwimmend/ausblutend seinen Anfang, reckt sich sattschwarz scharf konturiert in die Darstellung hinein, bevor er im ebenfalls wässrig feucht gehaltenen Zielpunkt angelangt kleingeädert wieder ausfasert und verlöscht, um sich in ein anderes Aggregat zurückzuverwandeln.

Keineswegs gestisch-intuitiven Ursprunges (wie vor langen Jahren) gleichen die Malgründe, Materialien, Malwerkzeuge Michael Danners so auch sorgsam eingerichteten Experimentieranordnungen zur Erforschung von Raum, Zeit und Bewegung – und sind trotz alledem gleichzeitig gültige Geste und Kondensat eines Intuitiven (Wissens und Tuns). Die Voraussetzung freilich für das Gelingen dieser Versuchsreihen liegt selbstverständlich aber in der inneren Sammlung ihres Bilderfinders inbegriffen. Die genannten Malwerke stellen gewissermaßen bildgebende Verfahren von Handlungen vor wie sie selbst auch Handelnde – Bildagenten im besten Sinne – sind, die in kontinuierlicher Bewegung gezeigt erscheinen: wie in einem noch fein aufgelösten Linienlager, dem niederstromigen Schwarz in unterschiedlichen Aggregatzuständen, werden in den grau schimmernden Tuschediffusionen die potentiell denkbaren Bewegungsbahnen energetisch angereichert und entladen sich schließlich in einer geistig initialisierten Malaktion über die Bildfläche hinweg: Linie, Form, Farbe, Hell und Dunkel verflüssigen und verfestigen sich gegenseitig im Bilddenken des Künstlers wie im Bild-Nach-Denken (also dem Nachempfinden) durch den Betrachter dieser Werke.

Linie wird Körper wird Linie; der Kreislauf von Kommen und Gehen wird in der großen siebenteiligen, in diesem Jahr entstandenen Leinwandarbeit noch einmal anschaulich: dort treffen die mannigfachen Linienhorizonte punktuell auf eine vorbereitete Wasserfläche, aus der sie im gezielt-zufälligen Verschwimmen der Tusche wie scheinbar aus dem Nichts menschliche Gestalten zu formieren, zu materialisieren vermögen. Zeile um Zeile sind jene Tafeln zu lesen, wie Buchzeilen oder der Zeilenaufbau von besagten Monitoren, doch auch und gerade zwischen den Zeilen ist – Sinn und Bedeutung – zu lesen, Seite um Seite die Bildsäulen von oben nach unten, oder aber der Figur nachfolgend das Einzelne der Teile überschreitend, in unterschiedlichen Schriftsystemen: von links nach rechts, ebenso umgekehrt aber auch von rechts nach links, und dann von unten auch wieder nach oben, zurück zum Beginnen. – Es gibt Nichts ohne das Andere.